Kreuzwege 1
Als der Stern vom Himmel fiel, fühlte Cyrus Hoffnung in seinem Herzen keimen. Ihn überkam ein Gefühl der Erkenntnis, wie wenn eine Reihe von Annahmen sich plötzlich bestätigen. Ich wusste es, ich wusste es, wiederholte er mehrfach für sich. Er stand in der Spitze des Apex Turmes und beobachtete die Sterne, wie er es in jeder klaren Nacht tat. Schon lange wartete er auf ein Zeichen, auf einen Hinweis und dieser kleine Stern aus dem Sternbild des Magiers, der langsam nach Nordwesten zog, und kurz bevor er hinter den schwarzen, schablonenartigen Zacken des Drachenschwanzgebirges verschwand, einen Schweif zeigte, einen Schweif der leicht rötlich gefärbt war, dieser liebe, leise Stern war ihm der Fingerzeig, der ihm den Weg weisen sollte.
Nachdem Friedensvertrag mit den Thalmor und dem Bruch mit dem Kaiserreich war es Gewissheit, dass dies kein Schlusspunkt hinter der Geschichte war. Hammerfell war wieder unabhängig. Das füllte die Herzen der Rothwardonen mit Stolz. Mit aller Macht wollten sie ihren neuen Status bewahren. Jedes Mittel sollte ihnen dazu recht sein. Die Steuern wurden erhöht, eine Wehrpflicht wurde eingeführt, die Schmieden des Landes fertigten vorwiegend Waffen. Doch das würde nicht reichen. Im Süden die Thalmor, im Norden und Osten das Kaiserreich, es würde mehr als die konventionellen Mittel eines wirtschaftlich brach liegenden Landes brauchen, um sich zu behaupten. Alle wussten das, und doch wurde Cyrus ausgelacht, als er seine Idee der Animunculi Armee vorbrachte. Cyrus war nicht irgendwer, er saß im Rat der Schwarzmagier von Elinhir, jener legendären Gilde, die einst der Stadt zu Aufstieg und Blüte verhalf, aber auch zu Leid und Verderben, doch das ist eine andere Geschichte. Zu seinem Leidwesen war er jedoch immer ein Außenseiter geblieben. Zu wenig konnte er sich auf die Ränke, Fehden und Allianzen seiner Kollegen einlassen, zu exotisch und oft auch abstrus waren seine Forschungen. Obwohl er seinen Dwemer Plan mit aller Überzeugungskraft, zu der er fähig war, vorbrachte und forderte, dass man viel weitblickender denken solle, ging seine Idee während der Magier Ratssitzung unter. Konkretere Vorhaben wie die Ausbildung von Kampfmagiern und die Errichtung von dauerhaften magischen Barrieren waren vielversprechender. Doch Cyrus wollte und würde deswegen nicht aufgeben.
Einige Wochen nach seiner nächtlichen Erleuchtung lernte er in seiner Lieblingsbodega einen Fremden kennen. Es schien als sei er meretischer Abstammung, war aber ansonsten eine ziemlich unauffällige Erscheinung. Was ihn auszeichnete war seine profunde Kenntnis der dwemerschen Geschichte. Es stellte sich heraus, dass er extra aus der Kaiserstadt nach Elinhir gekommen war, um eine für seine Forschung wichtige Ruine zu besuchen. Cyrus war begeistert und bot ihm umgehend Hilfe an. In den nächsten Tagen lernten sie sich besser kennen, tauschten ihr Wissen aus und machten ohne weitere Umstände gleich Pläne für gemeinsame Erkundungen. Lange jedenfalls zögerten sie nicht, denn mir nichts, dir nichts fand sich Cyrus in Begleitung seines neuen Forscherkollegen auf einer Expedition zum Scourg Hügelgrab im Drachenschwanzgebirge wieder.
***
„Weißt du Sagit“, Cyrus lehnte sich gegen seine Satteltasche und schürte mit einem Stock das kleine Lagerfeuer, „wenn das wirklich Mannimarcos Notizbuch ist, dann halten wir den Schlüssel zu den Animunculi in der Hand. Ich muss dauernd darüber nachdenken.“
Über Sagits Gesicht huschte ein Lächeln, dann starrte er wieder nachdenklich ins Feuer. Nach einer Weile erwiderte er: „Notizbuch ist gut. Wenn die Legenden über ihn halbwegs stimmen, dann stelle ich mir einen monströsen Genius vor, der Tinte und Gänsekiel weit hinter sich gelassen hat. Aber du hast Recht, das könnte der Schlüssel sein. Ich denke er wusste wie man das Numidium kontrollieren kann.“
„Es macht mir Angst, wenn ich bedenke welche Macht das beinhaltet“, bemerkte Cyrus erschauernd.
Sagit wischte sich einen Funken vom Ärmel. Dann steckte er ein Stück Brot an einen langen dünnen Zweig und hielt es zum Rösten über die Flamme.
„Lass dich nicht vorher hinreißen. Am Ende ist immer alles profaner als man glaubt. Wir werden Hilfe brauchen. Lass uns gleich nach unserer Rückkehr Verstärkung suchen. Du hast gesagt, du kennst jemanden.“
Cyrus nickte, sagte aber nichts mehr. Innerlich war er aufgewühlt und fühlte sich unsicher. Er legte seinen Kopf in den Nacken und betrachtete den Sternenhimmel. Der Magier stieg über den Horizont auf. Vielleicht konnte er ihm noch einmal ein Augenzwinkern schenken, hoffte er.