Schatzjäger 76

„Ich bin ehrlich überrascht“, rief Cyrus aus, „Schau hier Iareth, siehst du wie sich die eingewebten Kristallsplitter in einer Spirale verwirbeln. Ihre Strahlen reichen bis hinunter zum Ärmel und scheinen direkt in die Handwurzel zu münden. Sehr, sehr kunstvoll gearbeitet. Da dieses große rote Emblem im Rückenteil, das ist ein mystisches Muster. Meisterhaft. Fast lebendig, wie es sich windet. Das steht für Blut. Das für Schwert. Das könnte Wind bedeuten. Ein Symbol für Schnelligkeit, oder etwas in der Art. Also wenn du mich fragst, wäre ich Schwertkämpfer, das wäre meine Wahl. Brauchst halt gefüllte Seelensteine. Weißt ja, zum Aufladen. Aber das sollte kein Problem sein. Ich sitze sozusagen an der Quelle.“

Während er sprach, hatte er den Siegelstein, den Zanodar ihm überreicht hatte, in seiner Hand gewogen. Ein simpler grauer Würfel, eine Handspanne breit und hoch, mit einer groben Einkerbung auf einer Seite. Ein Dreieck, stellte er fest, keine magische Wirkung, also ein rein mechanischer Schlüssel. Er sah schon Probleme auf sie zukommen. Mechanismen tendierten dazu zu versagen, wenn sie nicht gepflegt wurden. Dreck, Staub, Ungeziefer oder einfach eingetrocknetes Öl, Wachs, all das konnte das geschmeidige Ineinandergreifen der Hebel, Riegel und Zähne einer Apparatur behindern. Gerade massive Grabtüren aus Granit, dick wie Ellen lang sind, blockierten gerne und weigerten sich auch nur eine Haaresbreite nachzugeben.

„Steht dir der Ring, Zanodar“, sagte Cyrus, „gar nicht klobig, wie so viele Zauberringe. Sehr elegant. Ich glaube der wirkt permanent. Ist zwar schwach, aber trotzdem nicht zu verachten.“

Cyrus erhob sich, ging einen Schritt auf Vater Fleisch zu und hockte sich vor ihm hin. Er hielt ihm den Siegelstein ins Gesicht.

„Wart ihr in der Grabkammer? Sprich!“

Vater Fleisch spuckte aus: „Mit Dreck wie dir spreche ich nicht.“

„Und wenn schon. Ist mir auch lieber so.“, Cyrus erhob sich.

***

„Ei ei ei! Quarks!“, Sagits Augen leuchteten, „Oh, ich liebe dich. Dein Anblick. Wie fehlst du mir. Guck schau, ich, ich der alte Gelehrte… habe Tränen in den Augen. Hätte nie gedacht vor so einer alten Schönheit zu weinen. Wie alt bist du? Ah…“ Er saß vor der Kiste mitten in den schlecht riechenden Lumpen und presste ein in brüchiges Leder gebundenes Buch an seine magere Brust. Sein Blick schien weit in die Vergangenheit gerichtet. Tatsächlich glitzerte etwas Feuchtigkeit in seinen Augenwinkeln. Langsam stieg die Flüssigkeit an, wie in einem altertümlichen Wasserstandsanzeiger. Doch zum Überlaufen kam es nicht. Entweder waren die Prozesse der Verdunstung schneller oder der Ansturm der Gefühle verebbte wieder.

Vorsichtig drückte Sagit die Buchdeckel aufeinander und legte es behutsam auf eine Decke. Dann klappte er den Einband mit spitzen Fingern wieder auf. Steif widersetzte sich das alte rotbraune Leder der Bewegung. Einige Blätter raschelten. Ein paar waren lose. Etliche waren zerfranst. Aber alle waren eng beschrieben. Eine fast schon mechanische Schrift. Klein, eng, korrekt in einem Zug durchgeschrieben. Viele Skizzen, freihändig hingeworfen, dass der Text sie umfließen musste. Ohne weiter darin zu blättern, schlug er das Buch mittig auf. Eine Schatulle kam zum Vorschein, genau im Format des Buches. Sie bestand aus einem glatten Material in der gleichen Farbe wie die vergilbten Seiten, vielleicht mit einem Stich Rosa, so dass sie bei einem flüchtigen Blick auf das Buch nicht weiter auffiel. Mittig in die Oberfläche gearbeitet befand sich ein milchiges Dreieck mit runden Ecken. Sein dürrer Zeigefinger wischte bedächtig darüber. Kaum merklich hoben sich seine Augenbrauen, kurz verweilten sie und sanken dann wieder zurück in ihre natürliche Lage. Er verschloss das Buch erneut und versuchte es von der anderen Seite zu öffnen, das wo der schmale Kasten war. Doch der Deckel war fest verklebt. Wieder klappte er das Buch auf. Diesmal überdehnte er es bis auch der Buchrücken wegklappte. Eingehend musterte er die dünne Seite. Ein kleines Loch mit einem Dorn darin war zu sehen und ein unscheinbares noch viel kleineres Löchlein verschlossen mit einem Kristall auch.

„Minus“, fluchte er leise.

Geschickt, mit beiden Daumen jeweils auf der entgegengesetzten Seite, drückte er die Klappe des Etuis auf. Ungewöhnlicher Weise zeigte sich kein Hohlraum. Nichts was mit Samt ausgeschlagen war oder was die polierte Maserung eines edlen Holzes oder teuren Steines offenbarte. Einfach nur zwei glatte glänzende Flächen mit einigen Kratzern darauf. Sagit legte seine Hand darauf und fühlte die kühle fast reibungslose Oberseite. Widerstandslos glitten seine Finger darüber. Er klappte alles zu und verlies eilig das Zelt.

„Cyrus, Kameraden! Hier!“, Sagit kam zu den anderen angestürmt, „Ich habe es gefunden. Guck!“

Cyrus nahm den Band und betrachtete ihn von allen Seiten.

„Das ist es also?“

„Ja.“

„So unscheinbar.“

„Nun…“

„Viele Seiten. Gekritzel. Tiefe Gedanken. Zeichnungen. Was ist das? Eine Platte? Ein weiterer Schlüssel?“

„Ja. Besser noch.“

„Aha.“

Cyrus verstaute das Buch in seiner Umhängetasche.

„Dann ist es vollbracht“, stellte er fest.

„Wir müssen die Truhe da im Pavillon mitnehmen. Viel Gold und Wertsachen befinden sich darin.“

„Gut“, erwiderte Cyrus, „Die Grabkammer interessiert uns nicht mehr. Zu aufwendig. Suchen wir alles wertvolle zusammen und verschwinden von hier.“

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