Auf dem Geröll aus losen Steinbrocken zu balancieren war eine schiere Herausforderung. Wenn man Pech hatte dann sackte ein Fuß weg und plötzlich sah man sich verzweifelt damit ringen sein Gleichgewicht beizubehalten und gleichzeitig weiterzugehen, um zu verhindern immer weiter abzusinken. Und dann noch die Last auf dem Rücken, die einen in die Tiefe ziehen wollte. Es dauerte sehr lange bis sie die Stelle passiert hatten. Obwohl sie schnell den Bogen raus hatten und einen zügigen festen Schritt beibehielten, auch wenn der Pfad unter ihren Füßen schwankte und nachgab. Sie umrundeten einen Fels und erklommen in engen Serpentinen einen Sattel. Hier legten sie eine Rast ein, um nach dem steilen Aufstieg wieder zu Atem zu kommen. Der Wind war erst erfrischend, aber er kühlte sie schnell aus je länger sie saßen. Die Sonne blendete stark, dass man blinzeln musste und der Himmel war von einem tiefen Blau, wie Samt. Sie setzten ihren Weg fort. Vor ihnen erstreckte sich ein flaches Plateau umrandet von Gebirge. Es war bewaldet. Anfangs mit Büschen, dann langsam übergehend in vom Wind gekrümmte Kiefern und später in lose stehende dünne Bäume, mit mildgrünem Laub. Sie folgten keinem Weg oder Pfad. Es ging durch den Wald eine Erhebung im Boden entlang.
Innerlich kam Sagit aus dem Staunen nicht heraus. Er fand es unglaublich wie stark sich die Gegend verändert hatte, wie schnell die Natur diesen Ort zurückerobern konnte. Als er hier gewesen war, im Winter, an einem sonnenentfernten Punkt des Jahres, durchzog eine Schneise der Verwüstung diesen Flecken im Gebirge. Doch davon war nichts mehr zu sehen. Kein verkohlter Stumpf, kein aufgerissener Boden, kein rauchender Fels. Nur wenn man genau hinsah, bemerkte man die große Anzahl junger Bäume, die noch Sträucher waren. Auch die hier und da in die gleiche Richtung liegenden und mit Moos überwachsenen Stämme, fielen auf. Genauso der harte Boden mit nur wenig Laub bestreut, statt der weichen Schicht von Humus mehrerer Vegetationsphasen, waren Details, die von einem vergangenen Ereignis sprachen. Es machte ihn sprachlos, weil es sich genau an sein Agonie und seine tiefe Hilflosigkeit erinnerte mit denen er hier gerungen hatte. Er hatte erwartet in seine persönliche Verdammnis zurückzukehren. Aber was er sah, war frische Farbe, die die Narben übertünchte. Er fühlte eine Erleichterung in sich aufkommen. Es war eine gute Idee gewesen hierher zu gehen. Zielstrebig setzte er seinen Weg fort. Er kannte sich wieder aus.
Vor ihnen im Wald tauchte eine ovale flache Hütte auf. Es hätte auch ein großes Zelt sein können, aber je näher man kam, desto deutlicher sah man, dass es starre Wände hatte. Nur schien es auf dem Kopf zu stehen, denn der Eingang war nach oben gerichtet. Zumindest könnte man so denken, wenn es denn ein Eingang war und nicht ein herausgerissene Dachluke oder dergleichen. Auch war die Hütte halb im Boden versunken oder eingegraben worden, denn sie stand schief. Sagit trat an die Wand heran und berührte sie mit der Hand. Er wischte ein paar Mal darüber, wie um sie vom Staub zu befreien.
„Das ist sie“, Sagit zeigte auf die Wand, „Das Haus des Himmels. Das Haus der Konstellationen. Der Sternzeichen. Der Blitz schlug ein. Der Himmel wehrte sich. Er mag es nicht seziert zu werden.“ Er versank in Schweigen. Für einige Augenblicke. „Gut. Wir wollen gleich beginnen, falls ihr beiden nicht erschöpft seid.“
Sagit legte seine Tasche auf den Boden und holte eine kleine Laterne und eine lange dünne Strippe heraus. Dann trat er an die Wand und bat Zanodar ihm hinauf zur Luke zu helfen. Er stieg auf seine Schultern und zog sich dann hoch. Keuchend hockte er sich neben die Öffnung. Er band die Schnur an die Laterne, entzündete sie und ließ sie hinab um zu sehen wie es innen aussah. Das Innere der Hütte war viel größer, als man vermuten würde. Die Laterne leuchtete nicht weit ins Dunkle, aber alleine das reichte schon um erahnen zu können, dass es mehr als nur eine flache Hütte war. Es schien vor allem in die Tiefe zu gehen. Gebälk und aufgerissene Bodenplanken schimmerten im Schein des schwachen Lichtes, genauso wie verbogene Stangen und eine Unzahl herabhängender Seile. Alles war bedeckt mit einer dicken Schicht Staub. Selbst in die Luft war erfüllt davon, urteilte man nach dem diffusen Lichtschein um die Lampe herum. Sagit senkte sie weiter hinab durch die schräge Ebene des Boden hindurch. Es gab noch eine weitere Etage, aber man konnte nichts mehr erkennen außer Finsternis.
„Das sieht hoffnungslos aus“, verkündete Sagit, „Aber wir müssen da rein. Ich will wissen, ob der weite Weg sich gelohnt hat.“